Januar 1989
Jesus,
das Licht der Welt
Liebe Gemeinde,
weihnachten ist vorbei! Die
meisten blicken zurück und sagen: "Die schönsten Tage des Jahres sind
vorbei. Es war schön, wir haben schön gefeiert." Leider gibt es auch
Leute, die in den vergangenen Tagen über Weihnachten nur mehr Arbeit oder
Urlaub oder den Anlass, mehr Geld zu verdienen, sahen. Gleichgültig, mit
welchem Gefühl man Weihnachten gefeiert hat, es ist jetzt soweit, dass man
wieder zum Alltag zurückkehrt. Viele sehen, dass alles beim Alten geblieben
ist: "Wie immer!", sagen sie.
Alles muss nicht beim Alten
bleiben. Es kann anders werden. Die Weihnachtskerzen sind gelöscht, aber das
Licht, das in die Welt gekommen ist, leuchtet weiter. Es leuchtet in den Herzen
der Menschen. Nicht gefüllte Schaufenster oder geschmückte Wohnzimmer sind für
das Leben maßgebend, sondern frohe Herzen. Wenn das Herz dunkel ist, was nützt
da den Menschen, wenn es überall auf den Straßen hell ist? Jesus, das Licht der
Welt, hilft uns, mit fröhlichem Herzen zu leben.
Gott gibt uns wieder ein
neues Jahr. Wenn das Leben im Jahr 1988 nicht ganz erfolgreich, nicht ganz in
Ordnung war, planen wir so, dass das Jahr 1989 besser wird. Zu planen haben wir
in dem Jahr 8760 Stunden. Wie viele Stunden für Arbeit, wie viele für die
Familie, für Erholung, für Hobbys und vor allem wie viel für Gott - für Gebet
und für die Mitmenschen? Viele von uns brauchen eine Umstellung in der Planung.
Ein gesegnetes neues Jahr
und viel Freude dann beim Rückblick am Ende des kommenden Jahres wünsche ich
Ihnen.
George chelappurath,
Pfarrer
Februar 1989
Religion,
Beruf und Berufung
Liebe Gemeinde,
in wenigen Tagen ist der
Faschingsrummel vorbei und es beginnt dann die Fastenzeit. In dieser Zeit
versucht jeder, sich über den Sinn des Lebens ernste Gedanken zu machen. Man
benützt diese Zeit, um auch sein eigenes Leben zu überprüfen: Wo liegt der
Zwiespalt zwischen dem, was sein sollte und dem, was ist - wie lebt man und wie
sollte man leben?
Zu leben gibt es
verschiedene Möglichkeiten. Wie man lebt, ist von Land zu Land, von Volk zu
Volk, von Religion zu Religion unterschiedlich. Auch in einer bestimmten Gruppe
kann man wieder verschiedene Formen des Lebens entdecken. Wenn viele
Möglichkeiten bestehen, wie unterscheiden wir die richtigen von den falschen?
Gibt es eigentlich viel Auswahl? Hat man sich entschieden, in einer Gemeinde zu
leben, dann ist in vielen Bereichen vorgeschrieben, was man tun soll. Wenn man
einen Familienstand ausgesucht hat, sind wieder andere Dinge bestimmend. Wenn
man einen Beruf angenommen hat, ist der Freiraum wieder geringer. Lässt man
sich taufen und gehört einer Konfession an und steht dann als Erwachsener zu
dem, was die Eltern vor Jahren für ihn entschieden haben, ist wieder vieles
vorgeschrieben.
Obwohl man viel von
Freiheit redet, gibt es eigentlich nicht viel Freiraum. Wir sind frei in der
Grundentscheidung: in Religion, Beruf und Berufung. Und wenn wir einmal die
Entscheidung getroffen haben, sind wir verpflichtet Einiges zu tun und Anderes
zu vermeiden. Die Pflichterfüllung gehört zu einem zivilisierten Menschen.
Die kommende Fastenzeit
sollte uns helfen, unser Leben im Bereich der Religion, der Berufung und des
Berufs zu überprüfen. Die Gebote Gottes und die Anweisungen der Kirche sind für
uns Wegweiser. Jesus, der bis zum Tod am Kreuz den Willen des Vaters im Himmel
getan hat, gibt uns Beispiel und Kraft.
Es grüßt Sie
George chelappurath,
Pfarrer
März 1989
Die
Rolle der Veronika und des Simon
Liebe Gemeinde,
gibt es Menschen in
Leingarten, die ein Kreuz zu tragen haben? Wenn ja, noch eine andere Frage:
Gibt es Männer in unserer Gemeinde, die den Kreuzträgern helfen, das Kreuz zu
tragen wie Simon von Zyrene, der Jesus geholfen hat, das Kreuz zu tragen? Oder
gibt es Frauen, die Kreuzträger trösten wie Veronika, die dem Herrn das
Schweißtuch gereicht hat?
In der Fastenzeit wird von
der Verurteilung und Kreuzigung Jesu immer wieder geredet. In den Szenen
spielen die Pharisäer und das Priesterkollegium, die den Tod Jesu verlangt
haben; Pilatus, der den Unschuldigen verurteilt hat, die Soldaten, die ihren
Dienst getan haben, die Frauen, die Jesus getröstet haben, die Zuschauer, die
einfach neugierig waren, Simon und Veronika, die Jesus geholfen haben.
Auch nahe bei uns gibt es
Menschen, die ihr Kreuz tragen, Menschen, die aus vielerlei Gründen leiden
müssen. Für jedes Leid kann man Gründe finden. Zweierlei Einstellungen hat man
den Leidenden gegenüber: Entweder sagt man "Er ist selber daran schuld, er
muss die Folge tragen." Oder man kann, ohne zu verurteilen und Schuld zu
suchen, den Leidenden helfen. Simon von Zyrene und Veronika sind uns Vorbild.
Ein gutes Wort, ein Lächeln, ein Telefongespräch, ein Besuch, eventuell ein bisschen
Geld oder ein paar Minuten Zeit - es gibt viele "Schweißtücher",
Möglichkeiten, an die wir oft nicht denken, die wir aber den Kreuztragenden
anbieten sollten! Allen Menschen können wir nicht beistehen, aber dem Einen
oder Anderen können wir in dieser Fastenzeit helfen.
Wir wollen versuchen, die
Rolle der Veronika und des Simon zu spielen, auch wenn die Rolle der Pharisäer
oder des Pilatus uns leichter erscheint.
Eine besinnliche Karwoche
und ein gesegnetes Osterfest wünsche ich Ihnen.
George chelappurath,
Pfarrer
April 1989
Wirkliche
Freunde bleiben ein Leben lang beisammen
Liebe Erstkommunionkinder,
am Sonntag, den 02. April
feiert ihr ein großes Fest. Dieser Tag ist nicht wie jeder andere, er ist
einmalig in eurem Leben. Anlass für dieses große Fest ist, dass ihr zum ersten
Mal Jesus in Gestalt des Brotes empfangen dürft. An diesem Tag seid ihr Gast
bei Jesus: ihr seid eingeladen, beim Mahl des Herrn teilzunehmen. Ihr schließt
eine Freundschaft mit Jesus. Nach seiner Auferstehung sagte Jesus in seiner
Abschiedsrede zu seinen Jüngern: "Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende
der Welt". Er meinte nicht nur seine Jünger, sondern auch uns alle,, die
wir an ihn glauben. Auf diese Worte Jesu möchte ich euch aufmerksam machen: ihr
seid nicht allein in der Welt. Nicht nur eure Eltern und andere Angehörige
sorgen für euch, ihr seid von Gott versorgt. Wenn ihr Angst habt, wenn ihr
traurig seid, euch verlassen fühlt, denkt, dass Jesus bei euch ist. Er ist euer
bester Freund. Er verlässt euch nie, er bleibt bei euch für immer. Die
Freundschaft, die ihr mit Jesus schließt, bleibt für euer ganzes Leben.
Freundschaft mit Jesus
heißt auch Freundschaft mit den Mitmenschen. In der Vorbereitung auf die
Erstkommunion habt ihr immer wieder von Gemeinschaft gehört - Gemeinschaft mit
Jesus und Gemeinschaft mit den Gläubigen. Konntet ihr in der Vorbereitungszeit
etwas von der Gemeinschaft erleben? Ich denke "Ja". Weil ihr
miteinander gebetet, gesungen, gelernt und gespielt habt, habt ihr eine Gemeinschaft,
eine Zugehörigkeit erlebt, die ihr sonst nirgends haben könnt. In den letzten
Jahren habe ich gesehen, dass einige von den Kommunionkindern diese
Gemeinschaft weiter pflegen konnten und dass sie sich freuen, wenn sie wieder
zusammen kommen. Auch ihr könnt das erleben, vorausgesetzt, dass ihr euren
Anteil tut. Und noch etwas: Erlebnis der Gemeinschaft geschieht nicht wie ein
Wunder. Das wächst langsam. Anfangen könnt ihr jetzt. Ich bin davon überzeugt, dass
eure Eltern euch unterstützen werden, vor allem die Gottesdienstgemeinschaft zu
pflegen. Ihr dürft den Mut nicht verlieren, auch wenn ihr Enttäuschungen
erleben werden. Auch in der Familie, im Beruf, in anderen Bereichen des Lebens muss
man durchhalten, um das Ziel zu erreichen.
Als euer Pfarrer freue ich
mich, dass ich euch diese Einladung Jesu zu einer Gemeinschaft mit IHM und mit
den anderen Menschen in unserer Gemeinde aussprechen darf. Ein schönes Fest und
viel Freude in der Kirche wünscht euch
George Chelappurath, euer
Pfarrer
Mai 1989
Gemeindehaus
Liebe Gemeinde,
in den nächsten Seiten
dieses Gemeindebriefes werden Sie einiges über unser geplantes Gemeindehaus
lesen. Der Kirchengemeinderat musste so lange (d.h. über 2 Jahre) warten, um
Ihnen jetzt etwas Konkretes sagen zu können.
Ich möchte Sie alle für die
Entscheidung unseres Kirchengemeinderates um Verständnis bitten und um Ihre
Unterstützung bei der Durchführung. Unser Kirchengemeinderat hat sich viel Zeit
genommen, viele Gespräche geführt - unter sich, mit den Fachleuten vom Bau, von
der Finanzierung, Verwaltung und vom Gemeindeleben-. Ich kann mir gut
vorstellen, dass die jetzige Entscheidung des Kirchengemeinderates und des
Bischöfl. Ordinariates nicht die gesamten Erwartungen und Hoffnungen aller
Glieder unserer Gemeinde erfüllen wird, von einem aber bin ich überzeugt: dass
der Kirchengemeinderat und das Bischöfl. Ordinariat das entschieden haben, was
sie für unsere Kirchengemeinde als das Beste empfunden haben. Die Entscheidung
war nicht einfach, da in unserer Gemeinde verschiedene Meinungen herrschten und
diese Meinungen durch logische und gültige Argumente unterstützt wurden.
Maßgebend für die Entscheidung war: Was braucht unsere Kirchengemeinde, was
können wir in absehbarer Zeit verwirklichen, wie sieht es mit den
Unterhaltskosten aus.
In der Entscheidung wurde
auch berücksichtigt, dass wir in Leingarten eine Kirchengemeinde sind, aber
zwei Gottesdienstzentren haben. Für uns ist und sollte das Gotteshaus Zentrum
des Gemeindelebens sein. Diese Situation unserer Gemeinde mit zwei
Gottesdienstzentren (die auch in Zukunft so bleiben wird) verlangt von uns, dass
einige Veranstaltungen (gottesdienstliche und außergottesdienstliche) zusammen
und andere getrennt sein müssen. Gleichgültig wo wir für die
außergottesdienstlichen Veranstaltungen Räumlichkeiten anschaffen, allen können
wir es nicht recht machen.
Was man gerne haben möchte,
muss nicht unbedingt das Gleiche sein, als das, was man verwirklichen kann. Das
merkt jeder von uns in allen Bereichen des Lebens, sozial und privat. Zwischen
Wünschen und Möglichkeiten besteht eine große Entfernung; z.B. in der Auswahl
von Partner, Beruf, Religion, Haus, Wohnung usw. Wünsche zu äußern ist ganz
anders als Entscheidungen zu treffen, Opfer zu bringen, sie zu verwirklichen
und die Verantwortung für längere Zeit zu übernehmen. Ich möchte Sie bitten,
die Möglichkeiten und Grenzen unserer Kirchengemeinde zu verstehen, damit wir
das erreichen können, was wir wollen, nämlich - eine friedliche und lebendige
Gemeinde.
Es grüßt Sie
George chelappurath,
Pfarrer
Juni 1989
Wir
haben einen neuen Bischof
Liebe Gemeinde,
"Wir haben einen neuen
Bischof", das verkündeten am 17. April die Glocken aller Gemeinden unserer
Diözese. Seinen Namen und ein bisschen Geschichte seines Lebens haben Sie
inzwischen aus den Medien erfahren. Über die Entscheidung des Papstes für den
Professor Walter Kasper als unseren neuen Bischof freue ich mich besonders,
denn ich kenne ihn persönlich. Vier Semester lang konnte ich von ihm Theologie
studieren. Wie in allen Medien berichtet wurde, haben wir den richtigen Mann
als Bischof bekommen. Die Bischofsweihe findet am Samstag, dem 17. Juni 1989 um
14.00 Uhr im Dom zu Rottenburg statt. Ich bin überzeugt, dass uns unser neuer
Bischof als ein guter Hirt im Sinne Jesu führen wird. Er ist in der Lage, uns
das Evangelium Jesu Christi in unserer Sprache zu verkünden. Früher brauchte
man Bibelexperten, die in der Lage waren, die Bibel aus Hebräisch, Aramäisch
und Griechisch, den Originalsprachen der Bibel, ins Deutsche zu übersetzen.
Jetzt brauchen wir Menschen als Leiter und Lehrer der Kirche, die in der Lage
sind, die Bibel in die "Sprache" der heutigen Zeit zu übersetzen. Das
können nur die, welche einerseits die Theologie und anderseits die Menschen gut
kennen. Vor allem aber muss ein Bischof ein Mann Gottes sein. Unser neuer
Bischof hat diese Eigenschaften und er wird uns in der Kirche Gottes
zusammenführen.
Ein Bischof braucht die
Unterstützung der Gläubigen seiner Diözese. Konkret heißt es:
1. Wir sollen für ihn
beten. Bei jedem Gottesdienst tun wir es zusammen. Wir wollen es in diesen
Tagen, wenn sich unser Bischof in der Diözese einarbeitet, besonders bewußt
tun.
2. Die Unterstützung liegt
auch darin, dass wir seinen Anweisungen folgen. Gehorsam heißt nicht unbedingt
blinde Abhängigkeit, sondern Vertrauen und Zusammenarbeit. Viele machen den
Fehler, indem sie mehr zu wissen behaupten als der Mann, der einen Überblick
hat über die ganze Diözese und auch die erforderlichen Fachkenntnisse selber
und durch Fachleute als Mitarbeiter besitzt.
3. Unser neuer Bischof
braucht auch unser Verständnis. Auch er kennt die Kunst des "Allen
Rechtmachens" nicht. Allwissender ist er auch nicht. Wenn es so schwer
ist, in den Familien alles richtig zu planen und durchzuführen, sollten wir für
die Grenzen unseres Bischofs Verständnis haben, der für viele Menschen in der
Seelsorge und Verwaltung Verantwortung trägt.
Mit der ganzen Diözese
freuen wir uns über unsern neuen Bischof und warten mit Freude auf den Tag der
Bischofsweihe am 17. Juni.
Es grüßt Sie
George chelappurath,
Pfarrer
Juli 1989
Allen
Menschen kann man es nicht recht machen
Liebe Gemeinde,
eine Familie aus unserer
Gemeinde hat mir zu Weihnachten 1987 nachfolgende Geschichte auf einem Zettel
photokopiert als Weihnachtsgeschenk gegeben. Darunter stand: "In diesem
Sinne wünschen wir Ihnen frohe Weihnachten und viel Hoffnung und Zuversicht für
das nächste Jahr. Familie ......". Diese Geschichte war für mich immer
wieder eine Antwort, als ich über dies und jenes Meinungsverschiedenheiten
erlebte. Nun möchte ich Ihnen diese Geschichte, die einige von Ihnen schon
gehört oder gelesen haben, weiter- geben, als Anregung nachzudenken. Vielleicht
gibt uns diese Geschichte eine Antwort auf viele Fragen, die wir immer wieder
stellen.
"Ein Müller beschloss,
seinen Esel zu verkaufen. Damit aber das Eseleien auf dem Wege nicht zu müde
werde und auf dem Markt munter sei, trug ihn der Müller gemeinsam mit seinem
Sohne huckepack. Sie gingen langsam, Schritt für Schritt, seufzten und stöhnten
unter der schweren Last. So begegneten sie einem Wanderer. Als dieser sie
erblickte, brach er in lautes Gelächter aus. "Was sehe ich da für eine
Narretei?" rief er. "Was ist das doch für ein Einfall, sich mit einem
Esel so abzurackern, zu schinden und anzustrengen! Das habe ich mein Lebtag
noch nicht gesehen." Das sagte der Müller zu sich: "Er hat recht.
Wozu sich mit dem Esel abmühen?" Er setzte seinen Sohn auf ihn und zog
weiter auf dem Weg zur Stadt. Und sie begegneten einem zweiten Wanderer. Als
dieser sie erblickte, fing er schon von weitem an zu schelten und Blitz und
Donner auf sie herab zu rufen. "Dass du dich, Junge, nicht schämst! Da
sieh mal einer! Der Junge reitet wie ein Herr, und der Alte rackert und plagt
sich zu Fuß ab. Das ist eine sonderbare Welt, so etwas hat es früher doch nicht
gegeben!" Auch das ist wahr, dachte der Müller, und schon war der Knabe
wieder auf dem Boden. Er selbst setzte sich auf den Rücken des Esels. Und
wieder gingen sie weiter der Stadt zu. Da begegneten sie einem Mädchen, und als
dieses sie sah, stand ihr beim Anblick des Knaben das Herz beinahe still.
"Armer, unglücklicher Knabe. Er schleppt sich auf dem staubigen Weg kaum
vorwärts, und der Alte reitet protzig auf dem Esel. Eine Schande ist das, eine
Schmach, wie ich sie im Leben noch nie gesehen habe!" "Auch das ist
wahr", gab der Müller zu und setzte den Sohn zu sich auf. Und so ritten
sie weiter der Stadt zu, bis sie wiederum einem Wanderer begegneten. Auch der
geriet in Zorn, drohte ihnen mit geballter Faust und schrie, wie gefühllos es
sei, dieses arme und schwache Tier derart zu quälen. "Dieses unglückliche
Tier kann sich kaum auf den Beinen halten, und zwei reiten auf ihm! Gewiss
denken sie sich, der Esel soll verrecken. Armes, wehrloses Tier. Versinkt vor
Scham in die Erde, ihr gefühllosen Menschen!" "Wahr ist das", musste
sich der Müller eingestehen und stieg samt dem Jungen vom Esel. Und dann gingen
sie schon zu Fuß, der Esel stolz vor ihnen. Und so schritten sie alle zusammen
der Stadt zu. "Jetzt wird man mich wohl schon in Ruhe lassen",
tröstete sich der Müller, doch welche Überraschung! Sie waren kaum einen
Steinwurf weit gegangen, und schon wieder vernahmen sie harte Worte. Da tauchte
ein neuer Wanderer auf. "Sehe ich richtig, oder täuscht mich das Auge?
Sehe ich nur einen Esel oder sogar drei? Ob so oder so, bestimmt lacht der
echte im Geiste darüber, was für Dummköpfe ihn begleiten, dass sie ruhig im
Staube des Weges dahertorkeln, während sie bequem reiten könnten". Jetzt
aber geriet der Müller wirklich über sich und über alle Ratgeber ringsum in
Zorn. "Ich habe all diese Ratschläge und Weisheiten satt", rief er. "Behaltet
sie für euch, ihr werdet sie bestimmt noch gebrauchen. Ob ich es so oder so
mache, nie werde ich es allen Menschen recht machen können. Von jetzt an werde
ich reiten oder zu Fuß gehen, wie es mir beliebt und wie ich es selbst für das
Beste erachten werde!" Und der Müller ritt, wie es ihm beliebt, trieb
seinen Esel an und hü und hott! der Stadt zu. Und glücklich kamen alle drei
dort an."
Es grüßt Sie
George chelappurath,
Pfarrer
September 1989
Weisheit,
Gelassenheit und Mut
Liebe Gemeinde,
die meisten von Ihnen
kennen das Gebet: "Gott gebe mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die
ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die
Weisheit, das eine von den anderen zu unterscheiden."
Wenn wir nach den
Schulferien und dem Urlaub mit voller Kraft unsere alltägliche Arbeit wieder
aufnehmen, möchte ich dieses Gebet mit Ihnen beten. Denn es ist nicht einfach,
unsere Grenzen und Möglichkeiten festzustellen und eine falsche Schätzung von
Können und Nichtkönnen, kann zur Folge haben, was unser Leben und vielleicht
das von vielen anderen schwer oder ganz kaputt macht.
Kaum irgendwo geht alles in
Ordnung. Wo wir Gerechtigkeit erwarten, finden wir immer wieder
Ungerechtigkeit. Wo wir Hilfe bekommen sollten, werden wir vielleicht
Unterdrückung und Prügel bekommen. Wo wir ein Geschenk oder eine Belohnung verdienen, kriegen wir vielleicht
Kritik und Niederlage. Wo wir Gewinn erwarten, kommt ab und zu Verlust. Also,
Enttäuschungen sind keine Mangelerfahrung in unserem Leben. Eine Frage
beschäftigt uns immer wieder: Was können wir tun?
Es ist nicht einfach, zu
unterscheiden, was wir ändern können oder müssen und was wir hinnehmen müssen.
Vieles haben wir geändert, in der Familie, in der Gemeinde und in der Kirche.
Es ist schwer, ab und zu mit einer bestimmten Person zusammen zu leben, aber
vielleicht können wir das nicht ändern; wir müssen mit ihr vielleicht Jahre
lang zusammen leben. Es könnte sein, dass uns der Beruf nicht gefällt; ein Ort
kann für einen ungesund sein. Aber vieles können wir nicht ändern. Annehmen,
wie die Tatsachen sind, das hilft uns, in Frieden zu leben.
Aber es gibt Dinge in den
Familien und in der Gesellschaft, die wir ändern müssen. Vorschläge für andere,
etwas anders zu machen sind leicht. Was wir selber nicht machen würden, können
wir auch von den anderen nicht erwarten. Also ist Weisheit nötig, zu
unterscheiden, was zu ändern ist und was nicht. Ferner braucht man Gelassenheit
für das Unvermeidbare und Mut für den, der zu ändern hat. Das erbitten
wir von Gott für uns und für unsere Mitmenschen, das wünsche ich uns allen.
Es grüßt Sie
George chelappurath,
Pfarrer
Oktober 1989
Rosenkranzmonat
Liebe Gemeinde,
es ist unsere Erfahrung, dass
kein vernünftiger Mensch seine Wohnung freiwillig kündigt, ehe er eine andere,
eine bessere gefunden hat. Wenn man wegen der vielen Mängel eine Wohnung
kündigt, bevor man eine andere findet, wird man höchstwahrscheinlich obdachlos.
Genauso ist es auch bei einer Arbeitsstelle. Bevor man eine Stelle kündigt,
sollte man eine bessere in Aussicht
haben. Sonst wird man bald arbeitslos und vielleicht Sozialhilfeempfänger.
Wie ist es in der Religion?
Bevor man etwas verlässt, muss man etwas Besseres haben. Immer wieder
kritisieren die Leute eine oder eine andere Form des Gebetes. Kein Mensch kann
für alle Zeit gültige und alle Menschen ansprechende Gebete formulieren oder
Gebetsformen vorschlagen.
Der Oktober ist
Rosenkranzmonat. Ist dieser Art des Rosenkranzgebetes altmodisch geworden oder
ist man unfähig geworden, den Rosenkranz zu beten? Um den Rosenkranz richtig zu
beten, muss man viel Ruhe und Konzentration haben. In drei Abschnitten -
meistens an drei Tagen
gebetet - werden durch dieses Gebet alle wichtigen Ereignisse des Lebens Jesu
in Erinnerung gebracht. Wenn man sie beten kann, sind sie eine von den besten
Formen der Betrachtung des Lebens Jesu. "Das Rosenkranzgebet bringt uns in
enge Verbindung mit dem Leben, dem Leiden und der Herrlichkeit Jesu, und es
zeigt uns die Stellung, die Maria im Heilswerk hat. Indem der Rosenkranz uns
anhält, dies zu betrachten, deutet er unser Leben und hebt es in das Licht des
Glaubens. Durch die Wiederholung schafft der Rosenkranz einen Zustand des
Betens." (GL)
In 15 Gesätzen werden die
Menschwerdung Gottes, Marias Besuch bei Elisabeth, die Geburt Jesu, die
Opferung Jesu im Tempel, die Wiederfindung Jesu im Tempel, das Blutschwitzen,
die Geißelung, die Krönung, der Kreuzweg und die Kreuzigung, die Auferstehung,
die Himmelfahrt, die Sendung des Heiligen Geistes, die Aufnahme Mariens in den
Himmel, und die Vollendung des Lebens bei Gott betrachtet.
Die Kirche schlägt uns vor,
besonders im Monat Oktober das Rosenkransgebet zu beten.
Es gibt viele Formen des
Gebetes und keine ist die schlechteste und die beste hat man bis jetzt nicht
gefunden. Bevor man eine verlässt, muss man eine bessere gefunden haben; sonst
bleibt man leer im religiösen Leben. "Obdachlos" in der Religion
darf niemand werden.
Es grüßt Sie
George chelappurath,
Pfarrer
November 1989
Ausbildung
für das Sterben
Liebe Gemeinde,
es gibt viele Ausbildungs-,
Fortbildungs- und Weiterbildungskurse, die auf das Berufs- und Sozialleben
vorbereiten. Man will immer und überall vorbereitet und auf dem Laufenden sein.
Auch die vielerlei Beratungsstellen helfen uns, Probleme zu lösen. Gibt es
einen Kurs oder eine Beratungsstelle fürs "Sterben" oder ist der Tod
so selbstverständlich? Sind alle richtig auf ihn vorbereitet? Bei einer
Beerdigung von einem Schüler in letzter Zeit sagte ein Lehrer: Wir bereiten
unsere Schüler für alles vor - für das Berufsleben, für Ehe und Familie, für
Politik und Wirtschaft, aber für das Wichtigste, nämlich den Tod, da lassen wir
sie allein. Denn er hat erlebt, dass viele Kinder einfach Angst hatten, den
toten Mitschüler zu sehen.
Müssen wir sterben oder dürfen wir sterben? Wenn einige sterben müssen, sagt
man bei anderen, dass sie sterben dürfen.
Wir können uns ein Jahr
ohne November vorstellen, der uns immer wieder den Gedanken an den Tod in den
Vordergrund rückt oder wir können diese Feiertage im November auch einfach
übersehen. Können wir uns ein Leben ohne den Tod vorstellen? Irgendwo habe ich
in einem Gedicht gelesen, wie sich ein Schriftsteller eine Welt ohne Sterben
vorstellt: Es gäbe keinen Tod! Alle Menschen leben immer auf dieser Erde!
Niemand hört auf zu arbeiten! Die Großeltern und Ur- und Ururgroßeltern leben
noch und sie gehen zur Arbeit. Es gibt keine Grenze für Kriminalität, denn
niemand hat Angst vor dem Sterben. Wohnung und Lebensmittel reichen nicht. Die
jüngere Generation kommt nie in die Führungsrolle usw. Man hat Angst vorm
Sterben; aber ein Leben ohne Sterben ist auch schwer vorstellbar.
Solange wir den Tod nicht
überwinden oder an ihm vorbei gehen können, versuchen wir, ihn anzunehmen und
uns auf ihn vorzubereiten. Auch unsere Kinder und Jugendlichen müssen wir auf
ihn vorbereiten. Die Eltern sind die richtigen Personen, die ihren Kindern auch
den Friedhof zeigen und mit ihnen über den Tod sprechen sollten. Wenn die Kinder
das nicht rechtzeitig mitbekommen, werden sie noch ängstlicher. Für einige Zeit
kann man den Gang auf den Friedhof vermeiden, aber irgendwann muss man da
stehen: bei der Beerdigung von Eltern, Geschwistern, Verwandten oder Bekannten
und einmal selbst als Hauptperson des Tages. Je besser die Vorbereitung, desto
leichter, einem Toten zu begegnen und den eigenen Tod anzunehmen. Ein Gedanke,
den wir nicht einfach übersehen können.
Es grüßt Sie
George chelappurath,
Pfarrer
Dezember 1989
Frieden
auf Erden
Liebe Gemeinde,
"Verherrlicht ist Gott
in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade" (Lk
2, 14) - das werden wir in wenigen Tagen nochmals hören, im
Weihnachtsgottesdienst feierlich verkündet. Frieden auf Erden - der wird
von allen gewünscht, gepriesen und verkündet. Auch die Diktatoren und
Machtmonopol-Inhaber wünschen und versprechen Frieden auf Erden. Die
Terroristen, - mindestens in ihrer Sicht - wünschen Frieden, obwohl die
Methoden, die sie dafür verwenden, total falsch und nicht erlaubt sind.
Es gibt Streit um
Frieden, denn die Vorstellungen über den Frieden sind unterschiedlich.
Einer denkt, politische Freiheit ist Frieden. Andere denken, wirtschaftliche
Unabhängigkeit schafft Frieden. Gleichgewicht in der Macht ist für andere die
Voraussetzung für Frieden.
Die Mittel und die
Methoden, die man benützt, um den Frieden zu erreichen, machen auch
Schwierigkeiten. Dem einen ist alles recht, wenn das Ziel stimmt. Methoden und
Mittel, den Frieden zu erreichen, sind ihm gleichgültig. Für andere Menschen
gibt es viele andere Werte, die gleichwichtig und wertvoll sind wie Frieden,
wie z. B. das Leben anderer Menschen, die Würde eines Volkes, die Umwelt,
Kultur usw.
In vier Wochen feiern wir
Weihnachten - das Fest des Friedens. "Friede sei mit euch"
sagt uns Jesus. "Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden
gebe ich euch", ist sein Versprechen an uns.
Nicht nur politische
Freiheit, nicht nur wirtschaftliche Unabhängigkeit, nicht nur soziale
Gerechtigkeit braucht man, sondern auch die innerliche Freiheit. Das ist nicht Freiheit, alles zu tun, was man will, nicht alles zu
tun, was die Naturtriebe des Menschen wünschen, sondern das zu tun, was Gott
von den Menschen wünscht. Das bringt der ganzen Menschheit bleibenden Frieden.
Mein Weihnachtswunsch für
uns alle ist Frieden - ein Frieden nicht nur für die ganze Welt, nicht nur in
unserem Land, nicht nur in unserer Gemeinde, sondern ein Frieden auch in
unseren Familien und vor allem IN DEN HERZEN eines jeden von uns. Mit der Bitte um Gottes
Segen für eine besinnliche Adventszeit und ein frohes, gnadenreiches
Weihnachtsfest, grüßt Sie,
George chelappurath,
Pfarrer